Die Polizeigesetz-Verschärfungen zielen bundesweit darauf ab, der Polizei mehr Möglichkeiten zu geben. So auch in Mecklenburg-Vorpommern. Was fehlt ist eine effektive Kontrollfunktion der Polizei und ihrer umfangreichen Eingriffsinstrumente. Unsere Kritikpunkte an der Polizeigesetzverschärfung fassen wir hier zusammen.
VORNEWEG: ERFOLGE DES BÜNDNIS
Das Bündnis und die Unterstützer:innen haben an verschiedenen Punkten im Gesetzgebungsprozess versucht auf die Ausgestaltung des SOG-MV einzuwirken. Der AKJ Greifswald hat beispielsweise eine ausführliche juristische Stellungnahme verfasst. In mehreren großen Demonstrationen und beim Tag des offenen Landtag 2019 haben wir die Stimmen der Bürger:innen an die Politik herangetragen.
In einem Punkt zeigte unser Protest bereits Wirkung: Ursprünglich sollten für viele Polizeimaßnahmen nicht mehr „bestimmte Tatsachen“, sondern lediglich „tatsächliche Anhaltspunkte“ ausreichen. Von dieser Aufweichung der Eingriffsschwelle hat die Landesregierung wieder Abstand genommen.
Leider war die Landesregierung, und insbesondere das Innenministerium, wenig bereit auf die zivilgesellschaftliche Kritik einzugehen.
FALSCHE GRUNDTENDENZ
Durch das neue SOG M-V kann die Polizei immer weiter im Vorfeld von konkreten Gefahren tätig werden, immer mehr Unbeteiligte erfassen und das auf immer unsicherer Tatsachenlage. Je vager der Anlass, desto größer ist jedoch das Risiko, mit dem Verdacht falsch zu liegen. Befugnisse, die vom Bundesverfassungsgericht allenfalls in außergewöhnlichen Situationen der Terrorgefahr akzeptiert werden, sind durch die Verschärfung jetzt für alltägliche Bereiche möglich. Nicht alles, was rechtlich und technisch möglich ist, ist politisch sinnvoll. Der freiheitliche Rechtsstaat unterscheidet sich vom Polizeistaat dadurch, dass er das Recht nicht um jeden Preis durchsetzen will!
STAATSTROJANER UND MEHR
Das neue Polizeigesetz MV ermöglicht, dass mit Überwachungssoftware (dem „Staatstrojaner“) auf Computer, Smartphones und andere Speichermedien zugegriffen werden kann; Daten können erhoben und geändert werden (§§ 33c, 33d Abs. 3). Diese Technik greift heimlich auf intime Daten zu und somit massiv in Grundrechte ein. Sie ist zudem auf Sicherheitslücken angewiesen und besonders anfällig für Manipulationen. Die Polizei darf jetzt bei Internet- und Telekommunikationsunternehmen auch persönliche Bestands- und Nutzungsdaten abfragen.
FLÄCHENDECKENDE ÜBERWACHUNG
Mit schon angewandten und neuen Techniken der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, mit Body- und Dashcams sowie Drohnen wird das öffentliche Leben nahezu lückenlos aufgezeichnet (§§ 32, 34). Großveranstaltungen wie Fußballspiele, Stadtfeste oder OpenAir-Konzerte dürfen jetzt überwacht werden, ohne dass eine Gefahr vorliegen muss. Damit hat die Landesregierung einen weiteren Schritt hin zur flächendeckenden Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger im öffentlichen Raum getan. Es ist jedoch empirisch nicht belegbar, dass mehr Überwachung auch mehr Sicherheit bedeutet.
PERSÖNLICHES UMFELD DER ZIELPERSON WIRD ÜBERWACHT
Das neue SOG-MV erweitert den Kreis möglicher Betroffener auf Personen, die “nicht nur in flüchtigem oder in zufälligem Kontakt” (§ 27 Abs. 3 Nr. 2) mit der überwachten Person stehen. Dies betrifft die Familie, das Arbeitsumfeld und den Bekanntenkreis. Auch Wohnungen Unbeteiligter können jetzt abgehört werden, wenn sich Verdächtige dort aufhalten könnten (§ 33b Abs. 2). Aus Angst, in den Fokus der Behörden zu gelangen, könnte es sein, dass dadurch Menschen soziale Kontakte mit möglicherweise Verdächtigen vermeiden. Dadurch entsteht ein Klima des Misstrauens.
AUSWEITUNG DER „DROHENDEN GEFAHR“
Einige schwerwiegende Maßnahmen wie Wohnraumüberwachung, Meldeauflagen oder den Einsatz von V-Leuten darf die Polizei jetzt unter Umständen sogar ergreifen, ohne dass ein konkretes gefährliches Geschehen absehbar ist. Es genügt, dass das Verhalten der Person als allgemein gefährlich erscheint. Dadurch wird de facto das vielerorts kritisierte Konzept der „drohenden Gefahr“ auch in M-V zur Wirklichkeit.
DATEN SAMMELN LEICHT GEMACHT
Das neue SOG M-V bietet keine ausreichenden Kontrollmechanismen für die intensiven Überwachungsmaßnahmen. Ein richterlicher Beschluss ist nur für einige verfassungsrechtlich zwingende Fälle vorgesehen, nicht aber wenn Handys und in der Cloud gespeicherte Daten ausgelesen (§§ 57, 61) oder bei Unternehmen IP-Adressen oder Passwörter der Nutzerinnen und Nutzer abgefragt werden (§ 33g). Bei allen Daten besteht zudem die Gefahr, dass sie nur selektiv verwendet werden. Der/die Landesdatenschutzbeauftragte hat nur Informationsrechte haben, statt bei Datenschutzverstößen aktiv eingreifen zu dürfen (§ 48b).
UNABHÄNGIGE KONTROLLE NÖTIG
Im neuen Polizeigesetz fehlen Kontrollmechanismen für eine moderne und verantwortungsvolle Polizei, wie sie Menschenrechtsorganisationen schon lange fordern. Andere Staaten machen es vor, einzelne Bundesländer zeigen immerhin Ansätze. Eine unabhängige und mit umfassenden Befugnissen ausgestattete Beschwerde- und Untersuchungsstelle würde helfen, polizeiliches Fehlverhalten aufzuklären und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Eine Reihe von Polizeiskandalen in M-V zeigt, dass das bitter nötig ist.
WEITERE KRITIK
Zahlreiche weitere Änderungen geben Anlass zur Kritik, etwa ein unzureichender Berufsgeheimnisschutz für Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen und Journalist:innen, problematische Meldeauflagen oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit.