Positionspapier: Unabhängige:r Polizeibeauftragte:r für MV
Ende letzten Jahres veröffentlichte die Landesregierung eine Stellenausschreibung für die Stelle des/der Polizeibeauftragte:n. Wir haben bereits kritisiert, dass die Ausgestaltung der Stelle absolut nicht ausreichend ist. Lest hier unser Positionspapier für eine progressive Polizeipolitik in Sachen Polizeibeauftragte:r.
Unabhängige:r Polizeibeauftragte:r für Mecklenburg-Vorpommern!
Positionspapier des Bündnis „SOGenannte Sicherheit“
Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg Vorpommern, mit der Novelle von 2019, welche seit 2020 in Kraft ist, hat Polizeivollzugsbeamt:innen weitreichende neue Befugnisse an die Hand gegeben, mit denen sie weit im Vorfeld von tatsächlichen Straftaten in Grundrechte eingreifen können. Die Möglichkeit einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung/Staatstrojaner, anlassloser Videoüberwachung (auch mittels Drohnen) und das Überwachen möglicher „Kontaktpersonen“ von Verdächtigen und Zielpersonen seien genannt.
Wir begrüßen, dass die Regierungsparteien sich in ihrem Koalitionsvertrag für die Einrichtung einer parlamentarischen Polizeibeauftragten aussprechen. Dies kann ein wichtiger Schritt in Richtung einer unabhängigen und effektiven Kontrolle polizeilicher Arbeit sein. Diese Polizeibeauftragte soll dem Bürgerbeauftragten nachgeordnet sein. Als Aufgabenfeld wird „Beratung von Polizeibeschäftigten und Bürgern“ im Koalitionsvertrag genannt. Eigene Ermittlungsbefugnisse oder sogar Sanktionierungsmöglichkeiten, um eigenständig agieren und eingreifen zu können, sind nicht vorgesehen.
Wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtssprechung festgestellt (vgl. Positionspapier von Amnesty International, „Unabhängige Untersuchungsmechanismen in Fällen von rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland„, S.3/4), umfassen die 5 Prinzipien effektiver Aufarbeitung von Beschwerden gegen die Polizei:
Unabhängigkeit, adäquate Untersuchung und nötigenfalls Sanktionierung der Fälle, zeitnahe Aufarbeitung, Transparenz der Untersuchungen und Einbeziehung der Opfer.
Diese Prinzipien sehen wir in der Ausgestaltung der Stelle, wie sie sich die Landesregierung vorstellt, nicht erfüllt. Die Befugnisse und Möglichkeiten einer solchen Stelle können und sollten umfassender sein. Dass dies möglich ist, zeigt sich nicht nur an anderen (EU-)Ländern, sonder auch anhand der Regelungen in anderen Bundesländern. Die weitesten Kompetenzen in der Bundesrepublik hat die Polizeibeauftragte in Bremen. BremPolBAufG (Vergleich Botta Dr. J., Unabhängige Polizeibeauftragte S. 672)
Mit gutem Beispiel voran!
Im Folgenden sind an diese Prinzipien angelehnte Rechtsgrundlagen aus den unterschiedlichen Bundesländern aufgeführt. Diese Aufzählung fokussiert auf die bedeutendsten Punkte und soll veranschaulichen, was andere (Bundes-)Länder bereits möglich machen.
1. Unabhängigkeit
Um wirkliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, darf keine Weisungsbefugnis oder sonstige Abhängigkeit vom Innenministerium bestehen (vgl.: §3 Abs. 2 Satz 1 BürgBG BE; § 1 Abs. 3 BremPolBAufG; § 16 Abs. 2 Satz 2 BürgBG RP; § 10 Abs. 2 BüPolBG SH.)
2. Adäquate Untersuchung und nötigenfalls Sanktionierung der Fälle
Die Stelle braucht die Befugnis, allen Vorwürfen strafbaren Verhaltens und erst recht schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen durch Beamt:innen der Polizei untersuchen zu können. Dabei muss der Beauftragte sowohl bei Anzeigen als auch von Amts wegen tätig werden können. Anzeigen sollten grundsätzlich auch anonym möglich sein (vgl. §§ 14, 15 Berliner Bürger- und Polizeibeauftragtengesetz). In Bremen und SH ist es juristischen Personen, Bürgerrechtsorganisationen und Verbänden ausdrücklich erlaubt, z.B. stellvertretend für Betrofffene aktiv zu werden; in SH, Berlin und Bremen sind anonyme Hinweise zulässig (Vergleich D. Kugelmann, Polizei und Menschenrechte, S.177)
Dies muss auch die Befugnis beinhalten, Akteneinsicht zu nehmen. Auch bei Verschlusssachen (vgl. § 7 Gesetz über eine unabhängige Polizeibeauftragte oder einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Freie Hansestadt Bremen).
Es braucht ein Betretungsrecht für polizeiliche Diensträume. Dies darf auch unangekündigt wahrgenommen werden (vgl. § 7 Gesetz über eine unabhängige Polizeibeauftragte oder einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Freie Hansestadt Bremen).
Tatorte müssen sofort untersucht werden dürfen, die Beobachtung von Großeinsätzen, die Anwesenheit bei Polizeieinsätzen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 BremPolBAufG.) und Aus- und Fortbildungsmaßnahmen (§16 Abs. 4 BüPolBG SH; §7 Abs. 4 BremPolBG) müssen möglich sein. Ähnlich wie bei Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft muss es der Polizeibeauftragten möglich sein, Zeug*innen und Sachverständige zu hören. Dabei ist eine Verpflichtung zum Erscheinen erforderlich (wie es z.B. auch § 20 PUAG für Untersuchungsausschüsse vorsieht).
Damit die Polizeibeauftragte über eine Symbolfunktion hinaus echte Wirkung hat, muss sie Einflussmöglichkeiten auf den Verfahrensverlauf nach einer Anzeige oder Rüge gegenüber Polizeibeamt:innen haben. Auch wenn der Fall schon bei Staatsanwaltschaft oder Disziplinarbehörde liegt. Dies kann bedeuten, dass die Möglichkeit eine erfolgte Einstellung seitens Disziplinarbehörde oder Staatsanwaltschaft anzuzweifeln und eine Begründung anzufordern. Diese Einstellungsentscheidung muss auf Willkür und Zweck sowie Rechtmäßigkeit überprüfbar sein. Dies kann durch die Befugnis ein Klageerzwingungsverfahren einzuleiten nach § 172 StPO (eine ähnliche Regelung existiert in Dänemark).
3. Zeitnahe Aufarbeitung
Auch wenn es Ressourcenaufwendig ist, darf die Untersuchung von Beschwerden gegen Polizeibeamt*innen nicht nur deshalb pausieren, weil Strafermittlungs- oder Disziplinarverfahren gegen eben diese laufen (§17 BüPoBG BE; §10 Abs. 2 BremPolBG). Auch darf die Frist innerhalb welcher Fehlverhalten von Beamt*innen angezeigt werden kann nicht zu kurz bemessen sein. In Bremen ist eine Frist von 3 Jahren vorgesehen.
Es geht noch mehr!
Darüber hinaus müssen die folgenden Punkte unbedingt Beachtung finden, um die oben genannten 5 Punkte des EGMR umzusetzen:
Rechtliche Verankerung einer Informationspflicht und Transparenz des Verfahrens
Der Polizeibeauftragte muss unverzüglich über jegliche Ermittlungen informiert werden, welche die Staatsanwaltschaft gegen Polizeibeamt:innen einleitet. Sie erlangt ebenso Auskunft über Disziplinarmaßnahmen, welche gegen Polizeibeamt:innen verhängt werden und in beiden Fällen die Möglichkeit der Überwachung und Begleitung des Verfahrens.
Ressourcenverfügbarkeit
Für eigenständiges Handeln und adäquate Untersuchungen müssen der Polizeibeauftragten u.a. ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen gestellt werden. Dies umfasst ein Team, interdisziplinär und divers besetzt, um verschiedene Perspektiven einzubringen und das Etablieren einer Fehlerkultur. Wichtig muss sein, dass Mitarbeitende keinen Polizeihintergrund haben. Dies würde das Vertrauen in die Stelle schmälern und birgt Missbrauchsgefahr als „Karrieresprungbrett“.
Transparenz
Für ein verantwortungsbewusstes und nachvollziehbares Arbeiten der Polizeibeauftragten braucht es Offenheit über die Tätigkeiten sowie den Einsatz von Ressourcen. Über regelmäßige Berichte kann ein Abgleich über das Erreichen gesteckter Ziele erfolgen. Angestrebt ist ein Austausch zwischen den Stellen und Reflektion auf Bundesebene über Arbeitsschwerpunkte, Zielsetzung und aufkommende Problemfelder, um zukünftig effektive und einheitliche Standards zu ermöglichen.
Gleichzeitig ermöglicht das Auswerten von Arbeitsweisen und ermittelten Daten eine Grundlage für wissenschaftliche Forschung in einem Bereich mit derzeit geringer Datengrundlage und einem kontrovers geführten Diskurs.
Öffentlichkeitsarbeit
Dem Polizeibeauftragten muss Möglichkeiten gegeben werden Fehlverhalten aufzuzeigen und zu kritisieren. Eine bereits bestehende Handhabung wäre das Aussprechen öffentlicher Verwarnungen, sowie es auch dem Landesdatenschutzbeauftragten zusteht.
Gleichzeitig zählt hierzu auch das öffentliche Bekanntmachen der Institution des Polizeibeauftragten und seiner Aufgaben. Mit beispielsweise mehrsprachigen Flyern und Aushängen an öffentlichen Einrichtungen und Dienststellen wird sichergestellt, dass ein Großteil der Bevölkerung einen barrierarmen Zugang zur genannten Institution findet.
Entschädigungen
Der Polizeibeauftragte sollte durch die ihm übertragenden Aufgabenfelder über angemessene Entschädigungen entscheiden können, welche Betroffenen polizeilichen Fehlverhaltens zustehen.
Zuständigkeit
Eine klare Fokussierung des Aufgabenfeldes des Polizeibeauftragten auf strafrechtliche und menschenrechtsrelevantes Verhalten notwendig, um dieses adäquat aufarbeiten zu können. Für andere Arten von Beschwerden haben weiterhin eigene Dienstaufsichtsstellen als auch der Bürgerbeauftragte ihre Zuständigkeit.
Der Polizeibeauftragte ist auf der Ebene einer obersten Landesbehörde anzusiedeln.
Um eine wirklich unabhängige Untersuchung strafrechtlich, relevanten Fehlverhaltens von Polizeibeamt:innen durchzuführen, braucht es eigene Ermittlungs- und Kontrollbefugnisse des Polizeibeauftragten.
Eine Polizei, die gegen ihre eigene Institution, ihre eigenen Kollegen ermittelt und eine Staatsanwaltschaft, die zwar die Ermittlungen leitet aber im Endeffekt doch wieder auf die polizeiliche Ermittlungsarbeit angewiesen ist, kann dies nicht gewährleisten.
Eine derzeitig geführte, „unabhängige Ermittlung“, ist das Abgeben der polizeilichen Ermittlungen an eine andere Dienststelle. Dies kann keine angemessene Aufarbeitung gewährleisten und verhindert, dass Betroffene sich melden und ist meilenweit von dem Standpunkt des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entfernt. Allein um diesen Minimalanforderungen gerecht zu werden, muss eine solche Stelle geschaffen werden.
Progressive Polizeipolitik!
15 Jahre lang wurde das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern konservativ geführt. Polizeiskandale wurden verharmlost oder ignoriert. In der aktuellen Legislaturperiode hat die rot-rote Landesregierung die Chance den Grundstein für eine progressive Polizeipolitik zu legen. Sie kann Erfahrungen aus anderen Bundesländern aufgreifen und darüber hinaus die Chance ergreifen neue Standards einer modernen Polizeikultur zu setzen.
Das Bündnis „SOGenannte Sicherheit – Gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes“ steht gerne für Rückfragen und Gespräche zur Verfügung.