Verfassungsbeschwerde: Warum?
In Deutschland sind die Möglichkeiten für sogenannte Verbandsklagen sehr eingeschränkt. Daher konnten wir als Bündnis nicht gegen die Polizeigesetzverschärfung klagen. Wir unterstützen die fünf Leute, die diesen wichtigen Schritt stellvertetend für uns alle gehen! Vielen Dank an euch!
Wir stellen euch hier die Beweggründe der Beschwerdeführer:innen vor:
Ronny R., Fan von Hansa Rostock
Salome Krug, Klima-Aktivist:in (ausführliches Interview mit Salome: Hier).
Katrin Hildebrandt, Anwältin für Strafrecht
Rico R., Fan von Hansa Rostock
John Doe, investigativer Journalist
Die Verfassunsgbeschwerde wird unterstützt von der Gesellschaft für Freihietsrechte. Ihr findet Infos und Updates auf ihrer Infoseite dazu. Hier klicken.
Ronny R.*, Fan von Hansa Rostock
*Name geändert, um anonym zu bleiben.
Warum klagst du gegen das neue verschärfte Polizeigesetz in MV?
Ich will in Ruhe zum Stadion gehen können und nicht bei jedem Bullen befürchten müssen, dass der mich kontrolliert. Ich will beim Fußball nicht darauf achten müssen, mit wem ich mich unterhalte.
Ich will mit der Beschwerde verhindern, dass ich irgendwann gar nicht mehr zum Fußball gehe und mein soziales Leben leidet, weil ich aus Angst vor ständiger Überwachung nur noch anonym per Twitter am Leben teilnehme.
Welche Gefahren bringt das Gesetz aus deiner Sicht als Fußball-Fan?
Ich will, dass Polizei Polizeiaufgaben macht und nicht gleichzeitig die von der Staatsanwaltschaft und der Gerichte. Dafür sind die nicht ausgebildet.
Salome Krug, Klima-Aktivist:in
Warum klagst du gegen das neue verschärfte Polizeigesetz in MV?
Als Aktivist*in für Klima-Gerechtigkeit setze ich mich für einen Systemwechsel ein. Ich protestiere zum Beispiel gegen Braunkohle-Abbau, Erdgas-Pipelines und Autobahnen. So habe ich oft Kontakt mit der Polizei und mache dabei immer wieder negative Erfahrungen.
Schon bei vermeintlich niedrigschwelligen polizeilichen Maßnahmen wie Platzverweisen kann ich beobachten, dass die Beamt*innen Bestimmungen so auslegen, dass möglichst viele Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und politischer Protest zeitnah unterbunden werden kann.
Mit dem neuen Polizeigesetz werden staatliche Befugnisse noch weiter ausgebaut, unsere Freiheiten weiter eingeschränkt. Dem schieben wir jetzt einen Riegel vor.
Wir müssen unsere Greundrechte verteidigen – immer wieder – es gibt sie nicht geschenkt!
Welche Gefahren bringt das Gesetz aus deiner Sicht als Aktivist:in?
Mit der Polizeirechtsverschärfung in MV kommen nun auch technische Werkzeuge zum Einsatz, die unsere Grundrechte unangemessen unterlaufen und eine noch weitergehende Überwachung unserer Privatsphäre erlauben. Diese Unverhältnismäßigkeit lassen wir nun mit unserer Klage verfassungsrechtlich feststellen.
Katrin Hildebrandt, Anwältin für Strafrecht
Warum klagst du gegen das neue verschärfte Polizeigesetz in MV?
Staatliches Handeln greift oft massiv in die Grundrechte der Menschen ein. Dem müssen zwingend Grenzen gesetzt werden. Es gibt kein Grundrecht auf absolute Sicherheit, aber auf Unverletzlichkeit der Wohnung; auf informationelle Selbstbestimmung und auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
Absolut bedenklich erachte ich, dass die Eingriffsbefugnisse lediglich auf der Annahme der Polizei beruhen, ob eine Person eine Straftat begehen wird. Dies verstößt gegen das Grundprinzip, dass Straftaten nicht von der Polizei festgestellt werden, sondern allein von den Staatsanwaltschaften und den Gerichten verfolgt und ggf. geahndet werden. Eine solche Grenzüberschreitung und Kompetenzverlagerung ist nicht hinnehmbar und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Anwendung neuer Befugnisse im Einzelfall zu rechtswidrigen Übergriffen der Polizeibehörden kommt, wenn die Voraussetzungen für ein zulässig geglaubtes Eingreifen in Wahrheit nicht vorliegen.
Insbesondere gibt es für die Gesetzesverschärfung überhaupt keine Veranlassung; weder aufgrund von zu schließenden Sicherheitslücken noch wegen einer angespannten Terror- oder Gefährdungslage. Vielmehr ist festzustellen, dass die reale Sicherheitslage immer besser wird und die Kriminalitätsraten zurück bzw. die Aufklärungsquoten hoch gehen.
Welche Gefahren bringt das Gesetz aus deiner Sicht als Anwältin?
- Erhöhte Gefahr, von verdeckten Überwachungsmaßnahmen betroffen zu sein, da ich wegen einer Vielzahl von Kontakten zu Personen, die von der Polizei als extremistisch eingestuft werden, ich ebenfalls als „Kontaktperson“ nach § 27 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes angesehen werden kann.
- Als Berufsgeheimnisträgerin habe ich die Pflicht, die in meiner Kanzlei gespeicherten Daten meiner Mandanten besonders zu schützen. Dies wird mir unmöglich gemacht.
- Durch immer weitergehende Eingriffsbefugnisse ohne effektiven Kontrollmechanismus verkomplizieren sich meine Arbeitsabläufe erheblich, denn um einen sicheren Gesprächsrahmen zu bieten, kann ich nur noch im direkten Kontakt anstatt über Telefon, Mail oder Messenger kommunizieren.
Rico R., Fan von Hansa Rostock
*Name geändert, um anonym zu bleiben
Warum klagst du gegen das neue verschärfte Polizeigesetz in MV?
Ich glaube generell als Bürger, dass die Verschärfungen in keinster Weise dazu geeignet sind, um Verbesserungen herbeizuführen. Im Gegenteil folgen sie dem Trend der letzten Jahre bei (vermeintlichen) Sicherheitsgesetzen, Befugnisse ohne Sinn und Verstand zu erweitern. Ohne die Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit oder Praktikabilität im Blick zu haben.
All das passiert, um auf Kosten der Allgemeinheit unehrlich gefühlte Sicherheit zu suggerieren und damit auf Stimmenfang zu gehen.
Es wird erneut darauf hingewirkt, dass Kompetenzen durchmischt werden und am Ende des Tages niemand mehr durchsieht – auch nicht auf Seiten der Polizei. Da ich keine Lust habe, in meiner Heimat noch mehr als ohnehin schon oder wie andernorts von überforderten Bullen genervt zu werden, gehe ich auf dem Wege der Verfassungsbeschwerde dagegen vor.
Letztlich auch deshalb, da die Legislative nicht in der Lage war, im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses auf Expertengremien zu hören, die nicht ihrer vorgefertigten Meinung waren. Diese Experten haben deutlich und in ihrer Mehrzahl davor gewarnt. Mir bleibt gar keine andere Möglichkeit als die Verfassungsbeschwerde.
Welche Gefahren bringt das Gesetz aus deiner Sicht als Fußball-Fan?
Die Neuerungen im SOG bergen für mich als Hansafan ständig in meinen Grundrechten eingeschränkt und überwacht zu werden – selbst wenn ich nichts gemacht habe, sondern nur wegen meines sozialen Umfelds oder unbegründeten Vermutungen.
Eine gesellschaftliche Stimmung von ständigem Misstrauen, Kontrolle und sprichwörtlichem Über-die-Schulter-gucken, um nicht unschuldig überwacht zu werden, ist sicher nichts, was ich mir als Sohn von in der DDR aufgewachsen Eltern zurückwünsche – weder im Ostseestadion, noch darüber hinaus.
John Doe*, investigativer Journalist
* Name geändert um anonym zu bleiben
Warum klagst du gegen das neue verschärfte Polizeigesetz in MV?
Seit Jahren werden Freiheitsrechte im Namen der Sicherheit ausgehöhlt. Regelmäßig entpuppen sich solche Gesetze als ganz oder teilweise verfassungswidrig.
Mittlerweile sind wir so weit, dass noch bevor überhaupt eine Straftat verübt wurde, intimste Einblicke in die Kommunikation erlaubt sein sollen – Stichwort Staatstrojaner. Oder dass Kontaktpersonen von potenziell Verdächtigen überwacht werden dürfen.
Mir geht das zu weit. Deshalb will ich wissen, was das Bundesverfassungsgericht vom SOG hält und hoffe, dass es korrigierend eingreift. Ne andere Chance haben wir ja auch nicht – im Gesetzgebungsverfahren hat die Regierung auf Kritik nur aus einer Richtung gehört: Die der Polizeigewerkschaften und des Gemeindetags.
Welche Gefahren bringt das Gesetz aus deiner Sicht als Journalist?
Mit den ausgeweiteten Überwachungsmöglichkeiten, insbesondere mit dem Staatstrojaner, könnte auch meine Kommunikation mit Quellen und Informantinnen abgegriffen werden. Als Journalist muss ich ihnen Sicherheit und Anonymität zusichern können, sonst gibt es keinen (investigativen) Journalismus. Die vertrauliche Kommunikation mit Informantinnen ist ein Pfeiler der Pressefreiheit. Es geht einfach zu weit, dass das alles schon möglich sein soll, bevor überhaupt eine Straftat verübt wurde.
Außerdem wird mein Recht auf Aussageverweigerung als Berufsgeheimnisträger im SOG geschwächt. Eigentlich dürfen wir Journalisten die Aussage verweigern, wenn wir sonst unsere Quellen verraten müssten. Dieser Schutz wird im SOG teilweise aufgehoben. Was für eine Gefahr soll das sein, die nur abgewehrt werden kann, wenn man Journalisten zu Aussagen zwingt?