PM: Entscheidung in Sachen SOG: Erfolg für die Grundrechte
Das Bundesverfassungsgericht hat heute seine Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde gegen das SOG MV veröffentlicht und zahlreiche Vorschriften für verfassungswidrig erklärt.
Das Bündnis „Sogenannte Sicherheit“ gründete sich im Frühjahr 2019 um gegen den Entwurf des neuen SOG MV vorzugehen. Im Zuge von Protesten wurde der Entwurf der damaligen Landesregierung zwar etwas angepasst, jedoch trat das neue SOG am 05.06.2020 trotzdem in Kraft. Und das mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden in die Lebensgestaltung von Bürgerinnen und Bürgern. Im Juni 2021 haben mit Unterstützung des Bündnisses fünf Menschen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das damals noch neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz MV eingelegt. Mit dieser Beschwerde verlangten sie vom höchsten deutschen Gericht, zu überprüfen, ob das neue Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern verfassungskonform ist. Sie wiesen in ihrer Beschwerde auf weitreichende Grundrechtseingriffe hin.
In der Verfassungsbeschwerde wurden von den Betroffenen, welche von der Anwältin Anna Luczak vertreten werden, insbesondere sieben Regelungen mit verschiedenen Überwachungskompetenzen angegriffen. Sie wurden dabei auch von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt. Die von ihnen angegriffenen Punkte wurden schon in anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – etwa zum BKA-Gesetz – in Bezug auf andere Gesetze mit ähnlichen Formulierungen als verfassungswidrig eingestuft.
Nun ist eine Entscheidung da.
Bündnis wertet Entscheidung als Erfolg
„Dass das BVerfG die zahlreiche Regelungen als verfassungswidrig ansieht, bestätigt uns in unserer Arbeit und ist ein wichtiges Zeichen für Freiheitsrechte und für Bündnisse/die Zivilgesellschaft in ganz Deutschland“ meint Bündnissprecher Micha Milz.
In der Begründung der Verfassungsbeschwerde hatten die Beschwerdeführenden bereits ausgeführt, dass die Regelung zur Vorverlagerung gegen die Verfassung verstoße und sie dadurch stark in ihren Rechten beeinträchtigt wurden. Dies wurde Bereits in der Entscheidung des BVerfG zum BKA Gesetz deutlich. Dies bestätigte das oberste Gericht nun.
Durch die Neufassung des SOG wurden viele Überwachungsbefugnisse sehr weit gefasst und ohne konkrete Gefahr möglich – obwohl das durch das Gericht bereits 2016 in der Entscheidung zum BKA Gesetz als verfassungswidrig erklärt wurde. Das Bündnis hatte dies von Beginn an als unverhältnismäßig und verfassungswidrig kritisiert. Mit dem heutigen Urteil wird die Forderung des Bündnis bestätigt, die Einsatzmöglichkeiten der Maßnahmen sehr eng und konkret zu fassen. Sprecher Milz dazu: „Das geht so nicht! Und die Landesregierung hätte das schon vor Jahren wissen müssen!“
Rechtsanwältin Katrin Hildebrandt aus Rostock, eine der Beschwerdeführer*innen sagt: „Ich als Strafverteidigerin begrüße die Entscheidung vor allem deshalb, weil damit klar ist, dass Überwachungsmaßnahmen nicht schon bei völlig vagen Verdachtslagen angewendet werden dürfen. Nach dem Gesetz wären sonst nicht nur viele meiner Mandant*innen, sondern auch ich selbst als deren so genannte Kontaktperson Maßnahmen wie längerfristigen Observationen, Kamera-Überwachung oder der Ausspähung durch verdeckte arbeitende Polizeibeamte oder mit der Polizei zusammen arbeitende Personen ausgesetzt gewesen.“
Eine wichtige Einschränkung der Überwachung wurde auch im Bereich der Rasterfahndung erreicht. Bei dieser werden besonders viele Menschen in ihren Grundrechten beeinträchtigt. „Hier wird besonders deutlich, dass die Landesregierung unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung massenweise Daten verarbeiten wollte, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegen musste“, so Micha Milz.
Sebastian Trettin aus Rostock hatte sich der Klage angeschlossen, weil er aufgrund der vielen neuen Befugnisse für die Polizei im SOG befürchtete, als Fußballfan aufgrund seiner Kontakte in die Fanszene ebenfalls in den Fokus der Polizei zu geraten, aber auch weil er durch diese Überwachungskompetenzen Schäden für alle Bürger*innen befürchtete. Sein Kommentar zu dem Urteil: „Für mich ist besonders wichtig, dass die Vorschrift zur so genannten Rasterfahndung vollständig gekippt wurde. Von der Rasterfahndung hätte jeder und jede betroffen sein können, die in ein bestimmtes Raster fiel, sei es nach Alter und Farbe des Autos oder ähnliches.“
Politische Entscheidungen
Dass in wenigen Punkten keine vollständige Entsprechung mit dem Antrag der Beschwerdeführer erfolgt ist, sei keine Niederlage meint Bündnissprecher Micha Milz. Das Bundesverfassungsgericht hat über einzelne Punkte nur aus formellen Gründen nicht entschieden, zum Beispiel über Drohneneinsätze, weil nicht klar sei, inwieweit die Beschwerdeführer davon betroffen sind. Sobald ein entsprechender Präzedenzfall vorläge, würde das Bündnis eine entsprechende Klage unterstützen. Es bleibe abzuwarten, bis es zu einer konkreten Situation kommt, in welcher den gesetzlichen Anforderungen an Drohneneinsätze eben nicht entsprochen wird. „Dies wird vermutlich nicht lange dauern. Schon jetzt haben wie vielfach Hinweise auf eine Missachtung der Hinweispflicht durch die Polizei“, so Micha Milz.
Darüber hinaus ist generell zum SOG zu sagen, dass nicht alles, was rechtlich gerade noch zulässig ist, auch unbedingt so weit gehend umgesetzt werden muss. Die Erfahrung zeigt, dass viele Regelungen, welche mit der Bekämpfung von Terrorismus begründet werden, nicht zur Bekämpfung von Terrorismus eingesetzt werden, sondern vor allem Bürgerinnen und Bürger in Kontexten von Fußballspielen, Demonstrationen und anderen zivilgesellschaftlichen Situationen betreffen.
Wir fordern die Landesregierung im Zuge der Neuregelung der für nichtig erklärten Normen auf, alle Normen des SOG MV so zu überarbeiten, dass die Freiheit im Vordergrund steht und nicht das verfassungsrechtlich größtmögliche Maß der Einschränkung der Grundrechte.
Die Verfassungsbeschwerde wurde außerdem von der GFF unterstützt. Infos der Gesellschaft finden Sie hier: https://freiheitsrechte.org/
Bei Nachfragen steht das Bündnis zur Verfügung unter sogenannte-sicherheit@systemausfall.org oder 0152/21423255